Das KISSeS – Modell

Demokratische Bildung und damit auch der Umgang mit Phänomenen von Pauschalablehnung, Diskriminierung und Gewalt gehören zum Grundverständnis und zum Auftrag von Sozialer Arbeit und Pädagogik. Bereiche wie Jugend- oder Schulsozialarbeit werden vermehrt auch dahingehend adressiert. Ihre besondere Chance besteht darin, dort anzusetzen, wo gesellschaftliche Verhältnisse konkret werden: im Alltag junger Menschen.

Oftmals fehlt es jedoch an praxistauglichen Konzepten. Es braucht die Fähigkeit, Strategien zu entwickeln, die Alltagserfahrungen aufgreifen und so in Aushandlung bringen, dass demokratische und menschenrechtsorientierte Perspektiven und vorhandene Potenziale gestärkt werden.

Das KISSeS-Modell legt die Zusammenhänge zwischen Ablehnungshaltungen und Lebensgestaltungserfahrungen offen und folgert daraus Handlungsansätze. Mit ihm lässt sich nachvollziehen, wie bestimmte Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen des sozialen Nahraums (etwa Familie, Schule oder Freundeskreis) und in virtuellen, medialen Räumen die Entstehung von Ablehnungshaltungen begünstigen können und welche Funktionen ihnen zukommen.

KISSeS steht für die zentralen Dimensionen der Lebensgestaltung:

Kontrolle

Integration

Sinnlichkeit

Sinn

erfahrungsstrukturierte Repräsentationen

Sozial- und Selbstkompetenzen

Es wird danach gefragt, welche positiven und negativen Erfahrungen hier jeweils gemacht werden:

Kontroll- bzw. Ohnmachtserfahrungen

  • Wo und wie können Orientierungsvermögen und Selbstwirksamkeit erlebt werden?
  • Inwieweit besteht das Gefühl, die ‚Dinge im Griff‘ zu haben?

Integrations- bzw. Desintegrationserfahrungen

  • Welche Qualitäten einer An- und Einbindung in Gemeinschaft und in Gesellschaft sind vorhanden?
  • In welche sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Bereichen erleben Menschen welche Qualität von Zugehörigkeit, Identifikation, Teilhabe und Anerkennung?
  • Wo sind ihnen diese verwehrt?

Sinnlichkeitserfahrungen

  • Beziehen sich auf Affekte, Emotionen, weitere psychische Zustände und Körperlichkeit?
  • Was wird als schön und wohltuend empfunden?
  • Was bereitet Freude und Begeisterung?
  • Wo kommen Frustration, Wut und Trauer dazu?

Sinnerfahrung

  • Inwieweit wird das eigene Leben als sinnvoll erlebt?
  • Wo findet darin Sinnstiftung statt?

erfahrungsstrukturierte Repräsentationen

  • Beschreibt Deutungsangebote, die zur Erfahrungsverarbeitung zur Verfügung stehen
  • unter solchen Repräsentationen sind ‚mentale Abbilder‘ von Realität zu verstehen

Sozial- und Selbstkompetenzen

  • haben moderierende Funktion, in welche Richtung Erfahrungen ausgelegt werden und welche Repräsentationen herangezogen werden
  • Ist eine Person in der Lage, Sachverhalte kritisch zu hinterfragen?
  • Kann sie die Perspektive wechseln und Empathie zeigen?

Fazit:

Der KISSeS-Ansatz rekonstruiert den Aufbau von Ablehnungshaltungen als Resultat von Lebensgestaltungserfahrungen und ihrer subjektiven und kollektiven Bilanzierung. KISSeS stellt ein Analyseraster für die Praxis bereit und kann ausgehend von einer profunden Analyse von Ausgangsbedingungen zugleich als Planungstool für erfahrungsorientierte Prozess- und Angebotsplanung verwendet werden.


Die hier angeführten Punkte sind Auszüge aus der KISSeS-Broschüre. Eine detailliertere Aufschlüsselung der Punkte kann in der Handreichung nachgelesen werden.

Quelle:

Nolde, Kai; Feder, Johanna; Möller, Kurt; Dietrich, Kai; Liedtke, Simone (2021): Erfahrungsräume öffnen – Demokratie gestalten. Die KISSeS-Strategie in der Praxis. Esslingen.

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